Nachdem meine Pilgerreise jetzt gut vier Monate her ist, erinnere ich mich noch immer gern an das Gefühl, die Schwierigkeiten, Momente, Gedanken, Begegnungen, Gemeinschaft und Erkenntnisse zurück. Es ist wie eine längst vergangene Sehnsucht: meinen Rucksack mit dem Lebensnotwendigsten zu packen, aufzubrechen, Bekanntes hinter mir zu lassen und neue Wege zu suchen. Immer der Sonne folgend. Ohne Gefühl für Raum und Zeit. Ohne zu wissen, welchen Ort ich am Abend erreiche und wohin ich am Morgen aufbrechen würde. Einzig und allein geleitet vom Weg, der mich zu Fuß nach Santiago de Compostela führen wird.

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Ich denke an die ersten Tage und muss über mich selbst schmunzeln. Was soll ich sagen – bevor der Weg überhaupt losging, bin ich erstmal einen wunderschönen Umweg gelaufen. Die erste Pilgermuschel entdeckt, hieß es von fort an Unterwegssein bei Regen und schönstem Sonnenschein. Durchzuhalten, auch wenn der Weg mühsam ist, früh ab 6:00 Uhr durch das erste Rascheln der anderen Pilger geweckt zu werden. In den Sonnenaufgang zu laufen, mir selbst ausgesetzt zu sein bei gleichzeitiger Ablenkung durch die Natur und auf die Herzlichkeit der Menschen zu treffen. Ich bin beeindruckt wie weit mich meine Füße tragen, wie schnell sich mein Körper erholt und sich an den Rhythmus gewöhnt. Schritt für Schritt. Kilometer für Kilometer. Tag für Tag. Es zeigt sich immer mehr Distanz zum Alltag und mein Blick wird spürbar klarer und fokussierter. Während ich Berge erklimme, durch Wälder gehe und Wasserquellen hinter mit lasse, setzt sich auch mein Geist in Bewegung. Meine Standpunkte verändern sich. Wo vorher Wut war, ist jetzt Entschlossenheit und Annahme. Wo vorher Angst, ist nun Vertrauen. Und plötzlich bin ich ausgefüllt vom Gefühl absoluter Entspannung und Freiheit.

Nach der friedlichen Einkehr in meinen Geist entschließe ich mich für eine Pause. Das kleine Café am Straßenrand lädt förmlich dazu ein. Dort treffe ich meinen niederländischen Freund Erik. Wir begrüßen uns mit einer herzlichen Umarmung und einem freudestrahlendem Lächeln. Gemeinsam entschließen wir uns für ein Stück Schokoladenkuchen und eine Tasse Cappuccino. Wundervoll. Ausruhen. Den Geschmack von kakaohaltiger Süße und Kaffee. Genuss pur.

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Die letzten 10 km bis zur Herberge schmeisen mein Gedankenkarussell erneut an. Ich blicke auf meine Füße und denke an meine körperliche Vitalität der ersten Tage zurück. Blasen und Schulterschmerzen haben mich begleitet. Doch je mehr ich meine körperlichen und geistigen Widerstände zugelassen habe, umso mehr wurde ich beschenkt. Ich wurde mit stetig wachsender Mobilität, Muskelkraft und Energie belohnt. Irgendwann hatte ich meinen Rhythmus gefunden und begann mit Rucksack auf den Straßen, so leicht wie eine Feder, zu tanzen. Ich lief täglich zwischen 25 km und 30 km bei schönstem Pilgerwetter und den traumhaftesten Landschaften. Ich erlebte Zufriedenheit und pures Glück. Weniger denken, mehr sein. Weniger andere Menschen. Mehr bei mir selbst. Weniger Gepäck. Mehr Leichtigkeit. Weniger Geld. Mehr Wesentliches. Ich sehe mich noch immer laufen. Mit der Sonne im Rücken und dem Wind durchs Haar wehen. Sehe die Felsen oberhalb des Atlantiks. Rings um mich Blau vom Meer und Himmel. Und ich bin glücklich. Dankbar. Erfüllt. Zutiefst. Und da hab ich für mich entschieden: genau hier möchte ich sein. Und einfach nur laufen.